Case Story

Predictive Maintenance 4.0: Die Verbindung des Internet of Things mit dem Prozessleitsystem

In unserer letzten Case Story ging es um signifikante Energieeinsparungen an einer Rückkühlanlage mit insgesamt fünf Pumpen. Dieser Artikel beschreibt, wie Digitalisierung die Wartungskosten sehr viel komplexerer Systeme reduziert. Die beiden wichtigsten Player in diesem Spiel: das Internet of Things und das Prozessleitsystem.

Projektname
IoT-PLS-Miner
Ziel
Prädiktive Instandhaltung und Datenanalyse
Projektdauer
2 Jahre
Projektbeteiligte
Zusammenarbeit des Service-Center IT insbesondere mit den Infraserv-Höchst-Abteilungen Data Science & Data Engineering und Kälte, Kühlung, Wasser
Nutzen
  • Verlängerung von Wartungszyklen, Senkung von Reparaturkosten durch Schadensprävention
  • Rund 10x pro Monat werden Maschinen nachgeschmiert
  • Erfahrungsgewinn durch Erkennung von verborgenen Mustern durch KI
  • Komfortable Möglichkeit der Analyse sehr großer Datenmengen
  • Früherkennung von Schäden und dadurch planbare und günstigere Wartung

Unser Ziel: Zustandsorientierte Instandhaltung

Der Bereich Kälte, Kühlung, Wasser von Infraserv Höchst betreibt und wartet die unterschiedlichsten Anlagen auf dem Gelände des Industrieparks Höchst und an anderen Standorten. Ihnen allen gemeinsam ist, dass teils über 200 Sensoren die unterschiedlichsten Parameter erfassen, die für einen zuverlässigen Betrieb bekannt sein müssen. So wird z. B. nicht nur die lokale Temperatur einzelner Anlagenteile überwacht. Auch die Stärke, Frequenz und Richtung auftretender Schwingungen an beweglichen Teilen geben wichtige Aufschlüsse über den Zustand des Aggregats.

Ein optimales Gesamtbild konnte man erstmals durch die Verknüpfung dieser Sensoren-Daten aus dem Internet of Things (IoT) mit dem Prozessleitsystem (PLS) gewinnen: Aus den Daten, die von den IoT-Sensoren gesendet werden, lassen sich zunächst nur faktische Anlagenzustände und deren Veränderungen ablesen. Nicht aber zwangsläufig auch die Ursache für deren Entwicklung. Ob eine Veränderung etwa durch einen (drohenden) Schaden oder durch einen absichtlichen Eingriff (z. B. ein geplantes Hoch- oder Herunterfahren der Leistung) eingetreten ist, sieht man hier nicht. Diese Informationen dokumentiert das PLS, mit dem die Anlagen gesteuert und überwacht werden – z. B. den Durchlauf des Wassers, die Drehzahl oder den Stromverbrauch.

Gerade bei komplexeren Anlagen spielt eine Vielzahl von Parametern zusammen, die letztendlich das Lauf- und Schwingverhalten einer Maschine bestimmen. Ein Verdichter, der im Teillastbereich läuft, wird zwangsläufig höhere Schwingwerte zeigen als im optimalen Betriebspunkt. Eine erhöhte Schwingung kann also in einem Fall auf ein Problem (z. B. einen Lagerschaden) hindeuten, im anderen ist sie nur Zeichen der aktuellen Fahrweise. Diese Bewertung und Einordnung der Schwingwerte hat in der Vergangenheit viel Raum eingenommen, da es die händische Verknüpfung von Daten verschiedener Quellen oder den Einbezug von mehreren Personen bedurfte. In der neuen App ist diese Verknüpfung bereits hergestellt. Das erhöht sowohl die Effizienz als auch die Erfahrungsgewinne durch eine detailliertere Analyse.

Sarah Teizel, Betriebsleiterin der Kälteversorgung bei Infraserv Höchst

So konnten durch menschliche Eingriffe verursachte Zustandsverschiebungen bisher nur im Nachhinein durch mühseligen händischen Datenabgleich von Verschleiß bzw. Schäden abgegrenzt werden. Das neue System stellt zwischen den Daten eine übersichtliche Relation her. Dabei lassen sich verschiedene Parameter gezielt anwählen, so dass man möglichen Ursachen nach dem Ausschlussverfahren auf die Spur kommt.

Ein Beispiel: Vibrationen

Jeder Antrieb hat mindestens ein Lager, und keines davon läuft ohne Vibration. Je nach aktueller Drehzahl und dem Zustand des Lagers kommt es deshalb zu unterschiedlichen Vibrationen, also sehr schnellen Änderungen der Bewegungsrichtung. Diese werden entweder in g, der Maßeinheit für Beschleunigungen, oder in Millimetern pro Sekunde, der Geschwindigkeit, gemessen. Die auftretenden g-Werte sind manchmal überraschend hoch – trotz der winzigen zurückgelegten Wege treten hier bis zu 9 g auf. Zum Vergleich: Trainierte Astronauten in Spezialanzügen halten 10 g aus. Es ist offensichtlich, dass höhere g-Werte eine Belastung für das Material darstellen und Vibrationen daher langfristig zu Verschleiß führen.

Für jedes Lager existiert daher ein Frequenzspektrum, bei dem keine Materialschädigung angenommen werden kann. Das Hoch- oder Herunterfahren der Anlage gehört ebenfalls zum Normbetrieb und spiegelt sich wiederum in abweichenden Frequenzspektren wider. Auffällige Abweichungen von der Norm deuten jedoch in der Regel auf Schäden hin. Dabei lassen sich aus der Frequenz, der Stärke und sogar der räumlichen Ausrichtung der Schwingungen Erkenntnisse über die Art des Schadens ableiten.

Das neue Tool: IoT-PLS-Miner

In einem neuen Tool haben die Experten Frank Mollard, Benjamin Moll und Patrick Stricker der Abteilungen Data Science & Data Engineering von Infraserv Höchst in Zusammenarbeit mit Dirk Scheid (IT-Business Partner) und den Fachleuten der Abteilung Kälte, Kühlung, Wasser von Infraserv Höchst die genannten IoT-Daten mit PLS-Daten verbunden. So lässt sich mit wenigen Mausklicks der Gesamtzustand einer Maschine oder auch der Zustand einzelner Komponenten gezielt analysieren.

Damit haben wir „Predictive Maintenance“ wirklich konsequent umgesetzt. Die Ingenieurinnen und Ingenieure können mit ihrem Spezialwissen aus den Frequenzspektren in Verbindung mit den PLS-Daten ablesen, wie es um eine Maschine bestellt ist

Frank Mollard, Head of Data Science & Data Engineering bei Infraserv

Sowohl in der linken Zeitreihe als auch auf dem rechten Scatterplot wird der negative Zusammenhang zwischen Vibration und Drehzahl der entsprechenden Pumpe sichtbar. Dadurch erhalten Ingenieure Aufschluss über verschleißreduzierte Fahrweisen.

Sowohl in der linken Zeitreihe als auch auf dem rechten Scatterplot wird der negative Zusammenhang zwischen Vibration und Drehzahl der entsprechenden Pumpe sichtbar. Dadurch erhalten Ingenieure Aufschluss über verschleißreduzierte Fahrweisen.

Dazu werden IoT-Schwingungssensoren während einer ca. einwöchigen Lernphase trainiert. Danach kennen sie den Normalzustand und sind dazu in der Lage, bei Abweichungen von der Norm zu alarmieren. Diese Alarme zeigen, wo genauer hingeschaut werden sollte. In einem zweiten Schritt kann zunächst eine tiefere Analyse am Bildschirm durchgeführt werden. Die Techniker können dadurch einschätzen, ob an irgendeiner Stelle unmittelbarer Handlungsbedarf besteht bzw. wann ein Eingreifen unumgänglich wird. Dabei können Schwingungen, Frequenzspektren und Temperaturen der Sensoren direkt mit PLS-Daten wie der Drehzahl der Maschine, dem Druck oder der Wasserdurchlaufmenge in interaktiven, individualisierbaren Visualisierungen kombiniert werden.

KI-Unterstützung bei der Findung von Mustern

Die Daten lassen sich nicht nur auf herkömmliche Weise begutachten, sondern auch mithilfe künstlicher Intelligenz analysieren. Dadurch können automatisch Muster gesucht werden, ohne dass explizite Anweisungen notwendig sind.

Dabei werden Algorithmen des „Unsupervised Learning“ verwendet. Diese haben den Vorteil, dass kein vorheriges, ggf. ressourcenintensives, Training erforderlich ist, da das entsprechende Modell während der Analyse interaktiv erstellt wird. Auf diese Weise kann eine maßgeschneiderte Analyse für jede Datenpunkt-Kombination durchgeführt werden, um verborgene Muster zu identifizieren, die anderweitig unentdeckt geblieben wären. Unsere Erfahrungen zeigen, dass dieses innovative Vorgehen ungeahnte Einsichten in den Zustand von Maschinen und Anlagen ermöglicht.

Das alles in Kombination reduziert den Aufwand deutlich: „An den Anlagen haben wir jetzt ca. zehn Wartungseinsätze pro Monat, bei denen die Lager abgeschmiert werden, und unregelmäßig auch Situationen, in denen ein unmittelbar drohender Schaden abgewendet wird – und zwar gezielt! Dadurch verlängert sich die Lebensdauer der Anlagen und größere Schäden treten seltener auf“, sagt Mollard.

Was bedeutet das in Zahlen? „In einem exemplarischen Schadenereignis konnten wir signifikant Kosten einsparen: Hätten wir nicht rechtzeitig eingegriffen, wäre mit Sicherheit ein Schaden von 12.500 bis 25.000 € entstanden. So konnten wir die Anlage für rund 3.500 € gezielt reparieren." Mollard schätzt, dass vergleichbare Fälle pro Anlage vier- bis sechsmal im Jahr auftreten. Insgesamt werden dadurch Wartungszyklen verlängert und drohende Schäden frühzeitig erkannt. Der IoT-PLS-Miner ist so konstruiert, dass er problemlos auch auf andere Betriebe von Infraserv ausgerollt werden kann.