Perspectives 2019: Mut – die wohl wichtigste unternehmerische Tugend unserer Zeit

Experten diskutierten zentrale Fragestellung: Was ist Mut im Unternehmenskontext und was bedeutet mutiges Handeln?

Mut – ein vielsagendes Wort mit großer Tragweite. Im 19. Jahrhundert waren es mutige Pioniere, die mit revolutionären Ideen den Wandel zum Industriezeitalter eingeläutet haben. Im 21. Jahrhundert steht das Silicon Valley als Paradebeispiel für mutige Köpfe, die ihre Visionen in Taten umsetzen und sie zu den wertvollsten Unternehmen der Welt formen. Die Geschichten mutiger Köpfe aus Deutschland erzählt die perspectives 2019 – das Networking-Event für die deutsche Chemie- und Pharmabranche von Infraserv Höchst, das am 13. Juni 2019 in Frankfurt stattfand.

In ihren Key Notes berichteten der Extremskibergsteiger und Unternehmer Benedikt Böhm sowie Prof. Heinz-Walter Große (B. Braun Familienholding SE & Co. KG) und Stefan Messer (Messer Group), wie Mut gepaart mit Geduld und Achtsamkeit ihr berufliches Leben prägen. Wie sich durch mutige Entscheidungen Innovationen und Forschungsvorhaben vorantreiben lassen – davon berichteten Dr. Markus Rarbach (Clariant), Dr. Gerwin Schüttpelz (cph Deutschland Chemie) und Dr. Henning Löser (Audi).

Die Referenten: Köpfe, Thesen, Perspektiven

Extremskisportler und Unternehmer

Mut am Berg und im Unternehmen – ein Brückenschlag

„Wer seine Angst durch Achtsamkeit ersetzt, wird sehen, dass das Unmögliche möglich werden kann.“

Meist sei es Angst, die uns daran hindere, neue Wege zu gehen, resümiert Benedikt Böhm. Dabei sollte man meinen, dass der Extremskibergsteiger keine Angst kennt. Bezwingt er doch die höchsten Berge – und das im Eiltempo. Speedbergsteigen ist Böhms Passion. In seinem Vortrag auf der perspectives 2019 setzt er seine Leidenschaft für den Extremsport in Korrelation zu seinem Mut als Unternehmer. Dank diesem machte er vor 16 Jahren aus einem angestaubten Ausrüster für Skitouren eine Weltmarke, dessen Aushängeschild er selbst ist. Böhm ist internationaler Geschäftsführer von Dynafit und seine Firma eines der wenigen Wachstumsunternehmen in der Branche. Nicht zuletzt deshalb, weil Böhm und seine Kollegen den Mut hatten, die Marke durchweg neu zu gestalten – vom Mainstream-Anbieter von Skischuhen zu einem Ganzjahresausrüster für anspruchsvolle Outdoorsportler. Zwei Drittel der Produktpalette wurden damals einstampft. Das radikale Streichen der Produktpalette vergleicht Böhm mit der Weglassen unnötigen Ballasts bei einer Skitour „Am Berg muss man sich auf das Wesentliche konzentrieren, um in einem Flow nach Oben zu kommen. Es geht darum Dinge zu vereinfachen und Gewicht zu sparen. Das spiegeln wir auch auf unsere Produktentwicklung“, so der 41-Jährige.
Die Erfahrungen als Extremsportler fließen in vielfacher Weise in sein Wirken als Unternehmer ein – auch beim Thema Angst und Mut. Er habe gelernt, dass es wichtig ist, Angst durch Achtsamkeit zu ersetzen, so Böhm. „Dann verschieben sich die Grenzen und man fokussiert sich auf das Wesentliche. Angst hat man immer nur vor etwas. Wir sagen nie, dass wir Angst in einer Situation haben.“ Angst könne man aber auch teilen, etwa indem man die Stärken der anderen nutzt, die in schwierigen Situationen vorangehen. „Wer beruflich neue Wege gehen will, muss die Balance zwischen Mut und Angst austarieren. Den Mut haben, Grenzen zu überschreiten, um neue Ziele zu erreichen und zugleich auf seine Angst hören, die einem sagt, dass man nicht zu weit geht.“

Vorstand B. Braun Familienholding SE & Co. KG,
Aufsichtsratsvorsitzender, Aesculap

Vierzig Jahre B. Braun – ein mutiger Weg?

„Wer von einer Idee überzeugt ist und sie vernünftig abgewogen hat, soll sie auch umsetzen.“

„Walter, das kann nicht funktionieren. Du wirst die gesamte Firma ruinieren.“ Mit Anfang 30, gerade bei der Tochtergesellschaft von B. Braun in den USA eine Abteilungsleiterstelle übernommen, dem Unternehmen schaden? Das wollte Heinz-Walter Große sicher nicht. Dennoch war er davon überzeugt, dass sein Plan, zwei Drittel der Maschinen für einige Wochen abzuschalten, um die überhöhten Bestände zu reduzieren, richtig war. Marty, der Leiter der Spritzgussabteilung und ein erfahrener Kollege, der diese Maßnahme für wahnwitzig hielt, sprach viele Wochen nicht mit Große. Erst als die Maschinen nach sechs Wochen immer noch still standen und dies keine negativen Auswirkungen auf das Geschäft hatte, kam er zu Große ins Büro und sagte: „Nun verstehe ich dein System und ich werde dich in Zukunft unterstützen.“
„War es damals mutig, so zu handeln?“ fragt der 66-Jährige heute, nachdem er 40 Jahre äußerst erfolgreich im Medizintechnikunternehmen B. Braun Melsungen gearbeitet hat. Als Abteilungsleiter, Geschäftsführer, Finanz- und Personalvorstand und zuletzt als CEO. Er habe Entscheidungen getroffen und hinter diesen gestanden. Wer von einer Idee überzeugt ist und sie vernünftig abgewogen hat, soll sie auch umsetzen, ist der heutige Vorstand der Familienholding überzeugt. So hat Große im Laufe seiner Karriere nicht nur Maschinen angehalten, um Ballast los zu werden, sondern auch das Organigramm gesprengt – eines der Standardinstrumente guter Unternehmensführung. „Wir bringen Arbeit kleinteilig in Kästchen und hinterlegen es dann mit Hierarchien. Aber es geht nicht darum, sich nach Organigrammen auszurichten, sondern in Organisationen zu denken“, bringt Große es auf den Punkt. Es gebe viele Mitarbeiter, die für eine Position befähigt sind, sie aber nicht machen können, weil sie in ihrem Kästchen verharren müssen. Ob Großes unternehmerische Entscheidungen mutig sind, überlässt er lieber dem Urteil anderer. Erfolgreich waren sie alle Male. Das belegt die Geschichte des nordhessischen Weltmarkführers.

CEO Messer Group

Mit Zukäufen zurück auf die Weltbühne – ein Ausblick

„Man braucht Geduld, um den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, an dem sich Mut auszahlt.“

„Wenn man eine Strategie hat, muss man sie konsequent verfolgen und seinen Weg gehen“, sagt Stefan Messer, CEO der Messer Group. In der dritten Generation führt er den hessischen Industriegaseanbieter, den er mit Beharrlichkeit und gegen viele Widerstände zurück an die Weltspitze geführt hat. In den 1990er Jahren ist das Gemeinschaftsunternehmen Messer Griesheim Teil der Hoechst AG. Die Familie hält noch ein Drittel der Firma. Als Stefan Messer 1998 die Nachfolge seines Vaters in der Geschäftsführung antritt, hat er keinen leichten Stand. Das Management von Hoechst stellt ihn auf verlorenen Posten und erkennt den Gründerspross nicht als gleichwertigen Partner an. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit bestärken Messers Einstellung zum Respekt gegenüber den Mitarbeitern: „Respektlosigkeit dulde ich nicht im Unternehmen. Es ist wichtig, allen Mitarbeiten Eigenverantwortung zu geben. Und wenn etwas schief läuft, darf man nicht direkt kritisieren, sondern muss sie weiter fordern und motivieren“, so Messer.
Als Unternehmer brauche er nicht nur Courage, sondern auch Geduld, um den richtigen Zeitpunkt abzupassen, an dem sich Mut auszahlt, meint der Firmenlenker aus Bad Soden. Mut hat er nicht nur bewiesen, als er 2004 gegen die Stimmen seiner Geschwister Teile des Unternehmens wieder in Familienbesitz gebracht hatte, sondern zuletzt auch 2019 mit dem Erwerb des Amerikageschäfts von Linde/Praxair. Ein Coup, der den einst zweitgrößten deutschen Industriegaseanbieter wieder zurück an die Weltspitze führte. Zu diesem Zweck ist Messer ein Joint Venture mit dem Finanzinvestor CVC Capital Partners eingegangen. Messer ist stolz, dass er das Familienunternehmen wieder zurückerobert hat. Auf dem Erfolg ausruhen will er sich aber nicht: ’Success is a lousy teacher. It seduces smart people into thinking they can’t lose’, zitiert er Bill Gates. Ein Grundsatz, den er an die nächste Generation des Unternehmens weitergibt.

Head of Business Line Biofuels & Derivatives, Clariant

Aus Stroh wird Sprit – energieautark und klimaneutral

„Verkaufe Enzyme nicht an den Kunden, sondern befähige sie, diese prozessintegriert selbst herzustellen.“

Ist die Entwicklung einer Bioethanolanlage auf Basis von Getreidestroh eine mutige Entscheidung? Als alternative Energiequellen sind landwirtschaftliche Abfallprodukte seit längerem gefragt. Wenn Mut heißt, neue Wege einzuschlagen und die Paradigmen zu verändern, dann kann die Frage mit „Ja“ beantwortet werden. Zu dieser Schlussfolgerung kommt Markus Rarbach, Leiter der Geschäftslinie Biofuels & Derivatives beim Spezialchemiekonzern Clariant mit Blick auf das Vorzeigeprojekt Sunliquid®. Dank optimierter Enzym- und Hefeplattformen, die spezifisch auf den jeweils verwendeten Rohstoff abgestimmt sind, haben die Chemiker einen nahezu CO2-neutralen Bioethanol entwickelt. Hierfür wird ein Teil des Rohstoffs abgezweigt und dient speziellen Mikroorganismen als Nahrungsgrundlage für die Produktion von Enzymen. Sie müssen also nicht mehr teuer eingekauft werden und können zudem direkt vor Ort produziert werden – eine erhebliche Kostenersparnis. „Wir haben das Geschäftskonzept verändert: Verkaufe Enzyme nicht an den Kunden, sondern befähige sie, diese prozessintegriert selbst herzustellen“, meint Rarbach. „Das war im Kern vielleicht eine mutige Entscheidung. Aber wichtiger als der eigene Mut ist es, in der Lage zu sein, ein Team zu motivieren und gemeinsam den Weg zu gehen – und der kann lang sein. Entscheidend ist daher auch, Geduld zu haben und die Menschen von der Idee zu überzeugen. Dabei geht es nicht darum, potenzielle Risiken zu akzeptieren, sondern sie zu managen und zu reduzieren.“

CEO cph Deutschland Chemie GmbH

Klebstoffproduzent statt Anwalt – ein trotziger Karrierestart

„Was wäre das Leben, wenn wir nicht den Mut hätten, etwas zu riskieren?“

Nach der Gründung der cph im Jahre 1975 brachte Gerwin Schüttpelz 1983 den ersten biologisch abbaubaren Etikettierklebstoff auf den Markt – eine Pionierleistung. Damals war er Anfang dreißig und wollte eigentlich Jurist werden. Aus Trotz, gepaart mit einer guten Portion Unternehmergeist, hatte er sich Mitte der 1970er Jahre als Kleinstunternehmer verdient gemacht und erst Klebstoffe gehandelt, bis er sich dachte: „Das kann ich auch selbst.“ „Was wäre das Leben, wenn wir nicht den Mut hätten, etwas zu riskieren?“ Das Zitat von Vincent van Gogh beschreibt die Unternehmensstrategie des Essener Klebstoffpapstes, dessen Klebstoffe die Etiketten weltweit in über 100 Ländern täglich auf Millionen Flaschen kleben. Mut zum Risiko zählt auch zu seiner Strategie. Als 1990 durch einen kontaminierten Konservierungsstoff die Qualität seiner Klebstoffe derart gemindert war, dass die Kunden absprangen und die Firma kurz vor der Pleite stand, ging Schüttpelz als einer der ersten deutschen Unternehmer den zunächst sehr unsicheren Weg nach Russland. „Ein bisschen Glück gehört auch zum Leben. In Russland haben die großen Brauereien und anderen Global Player wieder angebissen und somit sind wir über Russland zurück in die Welt gekommen“, resümiert der heute 70-Jährige.

Leiter Audi Production Lab

Herausforderungen auf dem Weg zur intelligenten Fabrik von morgen

„It takes courage to shape the future“

„Wir brauchen eine Truppe von „Spinnern“, die in der Lage sind, neue Technologien auszuprobieren und darüber zu einer Bewertung zu kommen“, erklärt Henning Löser die Ziele des Audi Production Labs, das er seit 2016 leitet. Während die Produktion beim Automobilhersteller Audi auf Stabilität ausgelegt ist, gelte es für das interne Labor, eine Ideenkultur in die Strukturkultur zu bringen. „Es geht darum, die richtigen Leute für die Themen zusammenzubringen, um die Produktion von morgen voranzutreiben. Das klingt einfach, ist aber schwierig“, so Löser. Denn die Bereitschaft mit bekannten Fehlern zu leben, anstatt Prozesse zu verändern oder gar neues auszuprobieren und dadurch neue unbekannte Fehler möglich zu machen, sei der Strukturkultur. Sie soll durch das Production Lab ein Stückweit aufgeweicht werden. Ein Beispiel ist die intelligente Fabrik von morgen, in der das Internet der Dinge und die Digitalisierung der Industrie in den Fokus der Informations- und Kommunikationstechnik rücken. Hier arbeitet Audi derzeit in einem Proof of Concept mit Ericsson an der Einbindung moderner 5G-Mobilfunknetze für vernetzte Produktionsanlagen. „Wir werden die Kollegen dann für uns gewinnen, wenn wir zeigen, dass wir das, was wir heute können, mit neuen Technologien sogar besser, schneller oder mit zusätzlichen Funktionen bewerkstelligen“, erklärt Löser seine Strategie der Überzeugung. „It takes courage to shape the future.“

Impressionen eines erfolgreichen Events

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Ergebnisse der Teilnehmerbefragung