„Cross Border Innovationen bieten eine Win-win-Situation“

Waren die Forschungsabteilungen von Deutschlands Top-Unternehmen lange hermetisch abgeriegelt, öffnen sie sich immer öfter, um den Innovationsgeist aus der Start-up-Szene zu atmen. Die Gründer sind dankbar. Eröffnet ihnen eine finanzielle Unterstützung die Möglichkeit, die schwierige Frühphase zu überstehen. Im Gespräch erläutert Dr. Michael Brandkamp, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds, den Wert einer Kooperation zwischen Groß und Klein.

01.06.2018, Interview mit Dr. Michael Brandkamp, High-Tech Gründer Fonds, geführt von Christiane Zimmer

Geschäftsführer der High-Tech Gründerfonds Management GmbH

Herr Brandkamp, wie ist es um die Innovationskultur in Deutschland bestellt? Wo steckt der Pioniergeist des vergangenen Jahrhunderts?

Wir haben nach wie vor einen sehr guten Pioniergeist in Deutschland. Allerdings wird er mittlerweile von den Start-ups gelebt. Denn hier werden Visionen vorangetrieben und neues ausprobiert. Die jungen Gründer sind offen dafür, neue Wege zu gehen und Innovationsfelder zu betreten. Dadurch treiben sie die Innovationsdynamik im Land voran.

Wie wäre die Innovationsdynamik ohne die Gründergeneration von heute?

Sie wäre sicher nicht so stark. Die Kultur in den Konzernen und auch bei den Mittelständlern ist heute nicht mehr darauf ausgelegt, quer über den Acker zu gehen und neue Felder zu bestellen. Das heißt nicht, dass etablierte Unternehmen nicht innovativ sind. Aufgrund ihrer Managementstrukturen sind sie jedoch oftmals in ihrer Geschwindigkeit limitiert. Die Stärke unserer Industrie liegt in der inkrementellen Weiterentwicklung bestehender Prozesse. Hier sind deutsche Unternehmen weltweit führend. Die Notwendigkeit für Neuerungen wird im Management durchaus gesehen. Nach Abwägung potentieller Chancen und Risiken bleiben die großen Unternehmen dann aber lieber auf ihren gewohnten Wegen.

… und lassen auch mal eine Innovation verstreichen.

Ja, und dessen sind sich die Unternehmen bewusst. Deshalb sind Kooperationen mit Technologie-Start-ups für sie von Interesse. Unternehmen wie Gründer haben die Chancen einer strategischen Zusammenarbeit erkannt. Die Start-ups können ihren Fokus auf die Visionen legen, ohne dass sie von hierarchischen Prozessstrukturen in ihrem Kreativprozess eingeschränkt werden. Parallel profitieren sie vom Marktwissen, der Erfahrung und der Routine im Prozessmanagement des großen Partners. Dieser bekommt dafür frische Ideen, ohne das Risiko eines Verlustgeschäfts einzugehen, sollten die technischen Innovationen nicht die gewünschten Früchte tragen. Derartige Cross Border Innovationen bieten eine Win-win-Situation für beide Seiten. Wir glauben, dass dies die Lösung ist, um in der weltweiten Innovationsdynamik weiter mitzuhalten.

„Cross Border Innovationen sind eine Win-win-Situation für beide Seiten. Wir glauben, dass dies die Lösung ist, um in der weltweiten Innovationsdynamik weiter mitzuhalten.“

Dr. Michael Brandkamp High-Tech Gründer Fonds

Wie ist es mit dem Kooperationsinteresse speziell in der Chemie- und Pharmabranche bestellt?

Wir haben Konzerne aus beiden Branchen, die in Technologie-Start-ups investieren. Die Chemieindustrie wird stark von den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit getrieben. Der Bedarf auf neue Geschäftsfelder zu reagieren und Veränderungen schnell umzusetzen ist hoch. Dennoch spielen Start-ups in der Chemie eine geringere Rolle als in der Pharmaindustrie. Diese ist ohnehin sehr Venture Capital fähig und baut seit Jahren erfolgreich auf Kooperationen mit der Gründerszene. Vor allem bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe arbeiten Pharmakonzerne bevorzugt mit den Kleinen zusammen. Spätestens nach Abschluss der zweiten klinischen Phase werden die Forschungssatelliten dann aber gern wieder verpartnert.

Vor einigen Jahren hätten Unternehmen die Tore zu ihren Forschungsabteilungen nicht geöffnet. Mit dem Trend zu Open Innovation hat sich das geändert, wenn auch unter großem Vorbehalt. Wann ist welche Art der Innovationskooperation sinnvoll?

Es gibt Entwicklungsfelder, in denen ein Austausch für alle Seiten zielführend ist. Während das Modell Open Innovation bei Produktinnovationen weniger geeignet ist, kann es bei Forschungsprojekten zwischen Unternehmen, die nicht im Wettbewerb miteinander stehen, durchaus fruchtbar sein. Etwa bei einem Transfer zwischen der Chemieindustrie und einem Softwareentwickler. Wie gesagt sind wir in Deutschland sehr stark darin, Prozesse zu optimieren und müssen dies auch sein. Vor allem bei den Vertriebswegen steigt der Druck Innovationen umzusetzen. Hier wächst die Konkurrenz durch ausländische B2B-Onlineplattformen wie Alibaba. Aber wir können dagegenhalten: Das Start-up Chembid aus Oldenburg hat es gezeigt. Das Unternehmen hat eine Suchmaschine für Chemikalien aufgesetzt, in der geschäftsmäßige Ein- und Verkäufer weltweit auf Angebote von verschiedenen Webshops und auf Online-Marktplätze zurückgreifen können.

Wir werden wohl aus Deutschland kein neues Facebook oder Google entwickeln, aber Weltmarktführer in technologisch anspruchsvollen Nischen formen schon.

Laut Deutschem Start-up-Monitor 2017 kooperiert mittlerweile die Hälfte der Gründer mit einem etablierten Unternehmen. Können wir mit diesem Konzept mittelfristig an die Gründerszene etwa in den USA anschließen?

Die Entwicklung in Deutschland ist extrem positiv. Gründer, die mit einer Idee scheitern, werden heute auch nicht mehr als Verlierer gesehen, sondern im Gegenteil: Sie haben sogar einen Bonus im Lebenslauf. Hier sehen wir einen erfreulichen Kulturwandel. Ein Unternehmen zu gründen ist heute hipp und sexy. Einige Mittelständler gründen ihre Innovationsvorhaben sogar aus, wenn sie selbst keine Ressourcen haben oder ihre Strukturen ein unkonventionelles Forschen nicht möglich macht. Die Bereitschaft für Ausgründungen wächst langsam und vor allem dann, wenn größere Veränderungen in den Unternehmen anstehen.

Mit Blick auf das Silicon Valley werden wir die dortige Innovationskraft zwar nicht überholen. Dafür können wir dort, wo Deutschland heute bereits Leitmarkt ist wie in der Chemie- oder Energiebranche oder auch der Medizin, die Standards definieren. Das Potential ist noch nicht ausgeschöpft – vor allem nicht bei den Start-ups, die auf Nachhaltigkeit setzen. Die Zeiten heute ein Unternehmen zu gründen sind besser denn je. Das Kapital liegt vor und sucht nach neuen Innovationen. Und mit Blick auf die Gründer, die wir in unserem Portfolio haben, kann ich nur sagen, dass sich die Investitionen lohnen. Die Bereitschaft der Unternehmen an guten Kooperationen ist groß und die Qualifikation der Gründer ebenfalls. In einer neuen Kultur des Entrepreneurship kann Deutschland gewiss Zeichen setzen.

Der Artikel erschien ursprünglich 2018 in der perspectives #5, Themen-Special: Wandel

Bildquelle Stage: FangXiaNu/Getty Images

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