Fake News kopieren Viren

Fake News und Verschwörungstheorien haben gerade in Zeiten der Corona-Pandemie Hochkonjunktur. Soziale Medien fungieren dabei oft als Superspreader. Die Falschinformationen gelten weltweit mittlerweile neben Malware als eine der größten Cyber-Gefahren.

Von Dirk Mewis

Nach vielen Notrufen versuchte die Polizei in Wien die Bevölkerung durch Nachrichten über Twitter und Facebook zu beruhigen: „Es werden keine Hubschrauber über Wien fliegen und es werden auch keine Chemikalien versprüht.“ Denn am 19. März 2020 hatten WhatsApp-Kettenbriefe und Facebook-Nachrichten vor fünf Helikoptern gewarnt, die ab 23:30 Uhr Desinfektionsmittel über der Stadt versprühen würden, um das Coronavirus „auszurotten“. In der Nacht des 19. März 2020 hatten diese Fake News schon eine lange Reise hinter sich. Einen Tag vorher hatte eine nahezu identische Falschmeldung bereits Menschen in Argentinien geschockt. Gleichzeitig verbreitete die Behauptung über die fünf chemieversprühenden Hubschrauber in Venezuela, Uruguay und Spanien sowie in Indien und Taiwan Panik. Und nach einem Zwischenstopp in Wien war die Falschnachricht noch bis Ende Juli in den USA, Sri Lanka und in Großbritannien unterwegs.

Fake News und Verschwörungstheorien kopieren das Verhalten von Viren. Sie mutieren, verbreiten sich rasend schnell und sind immun gegen Fakten. Parallel zur Pandemie verbreitet sich weltweit eine Infodemie aus Falschnachrichten und Corona-Verschwörungsmythen.

So behaupten Fake News über den Microsoft-Gründer Bill Gates, er besitze ein Patent auf das Coronavirus und wolle Menschen Mikrochips zur Kontrolle implantieren. Im Februar 2022 war Bill Gates zu Gast bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Unternehmer und Philanthrop kritisierte dort, dass Fehlinformationen über die Corona-Impfstoffe zu Hunderttausenden von Todesfällen geführt hätten.

Deepfakes in der Politik

Über 100 Faktencheck-Redaktionen aus mehr als 70 Ländern haben sich inzwischen im weltweiten Kampf gegen Corona-Fake-News in der „#CoronaVirusFacts Alliance“ zusammengeschlossen. In einer durchsuchbaren Onlinedatenbank tragen Journalisten Artikel zusammen und zeigen gleichzeitig mit Visualisierungen, wie sich die Infodemie um den Globus verteilt.

Organisiert hat die Onlinedatenbank die Brasilianerin Cristina Tardáguila, stellvertretende Direktorin des International Fact-Checking Network (IFCN) mit Sitz in den USA. Seit Januar 2020 trägt Tardáguila mit Kolleginnen und Kollegen über 16 Zeitzonen hinweg Corona-Falschmeldungen zusammen: „In der Datenbank sind jetzt ungefähr 11.000 Unwahrheiten vermerkt, die rund um den Planeten entdeckt worden sind.“

Dabei entwickeln sich auch die technischen Manipulationsmöglichkeiten weiter. Dank Rechenleistung, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz kann inzwischen nahezu alles gefälscht werden: Filme, Telefonate und Videokonferenzen.

Der Reddit-User mit dem Namen „Deepfakes“ veröffentlichte im Herbst 2017 erste Videos, die er mithilfe von Deep-Learning-Technologien manipuliert hatte. Seitdem sind solche Manipulationen nach ihm benannt: Deepfakes (Reportage von ZDF in Zusammenarbeit mit objektiv media zum Thema Deepfakes). Sie erreichten schon wenige Monate später die große Politik, als ein besonderer Clip auf Youtube hochgeladen wurde. Darin sagt jemand, bei dem es sich scheinbar um Barack Obama handelt, Donald Trump sei ein Volldepp.

Bedrohungslage im Cyber-Raum auf Rekordniveau

Die Bedrohungslage im Cyber-Raum sehen deutsche Manager und Politiker aktuell auf einem Rekordniveau. Das zeigen die Ergebnisse des aktuellen „ Cyber Security Reports “, für den Deloitte und das Institut für Demoskopie Allensbach mehr als 400 Führungskräfte aus Unternehmen sowie über 100 Abgeordnete aus den Landtagen, dem Bundestag und dem Europaparlament zum Stand der Cyber-Sicherheit in Deutschland befragt haben.

Als größtes Cyber-Risiko für die Bevölkerung sehen die Entscheidungsträger Datenbetrug im Internet: 77 Prozent bewerten diesen als großes Cyber-Risiko, ein neuer Höchstwert. Auf der Gefährdungsliste folgen Computerviren und Schadsoftware mit 76 Prozent.

Auch wenn eine komplette Risikoeliminierung niemals möglich ist, beginnt der Schutz vor zunehmendem Datenmissbrauch in den Köpfen und an den Geräten der Nutzer.

Marius von Spreti, Partner und Cyber Risk Leader bei Deloitte

Gleichzeitig wächst die kritische Haltung gegenüber dem zunehmenden Einfluss sozialer Medien auf die politische Meinungsbildung. Für 55 Prozent der befragten Abgeordneten überwiegen in sozialen Medien eher die Risiken für die Demokratie (2019: 50 Prozent). Dabei bewerten 86 Prozent der Abgeordneten Filterblasen als eine sehr große oder große Gefahr für die Demokratie.

Trotz der Bedenken wegen Fake News, Filterblasen und Shitstorms stehen die Entscheidungsträger den sozialen Medien eher positiv gegenüber: Die meisten Führungskräfte aus mittleren und großen Unternehmen (58 Prozent) sehen darin eher Chancen als Risiken. Gleichzeitig berichten 15 Prozent der Wirtschaftsführer davon, dass ihre Unternehmen bereits Opfer eines Shitstorms geworden sind. Überdurchschnittlich häufig betroffen sind große Unternehmen mit 1.000 und mehr Mitarbeitern. 22 Prozent hatten mindestens einen solchen Vorfall in der Vergangenheit.

Das hohe Gefahrenpotenzial und die Vielfältigkeit von Cyber-Risiken nehmen weiter zu. Die Politik muss beim Management dieser Risiken proaktiv agieren und Akteure aus der Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft einbinden.

Peter Wirnsperger, Partner und Lead Civil Government bei Deloitte

Aufklärungsworkshops am Arbeitsplatz

Um gegen die Ausbreitung von Verschwörungsmythen und Desinformation vorzugehen, setzt die Initiative „ Business Council for Democracy “ (BC4D) der Hertie-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und des Institute for Strategic Dialogue Germany jetzt auf Aufklärungsworkshops am Arbeitsplatz. Die sechs Pilotunternehmen sind Evonik, Kion, Volkswagen, NOMOS Glashütte, UFA und ALBA. Im Rahmen des Projektes werden kleine Gruppen von 15 bis 20 Beschäftigten in „Lunch and Learn“-Formaten zu den Themen Hass- und Gegenrede, Desinformation und Verschwörungsmythen geschult. Die Inhalte haben renommierte Expertinnen und Experten für den Bereich digitaler Kommunikation und Desinformation entwickelt. Für mindestens zwei Jahre soll das Projekt nun in größerem Rahmen fortgesetzt und auf bis zu 100 Arbeitgeber ausgeweitet werden.

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