Kundenführung 4.0: Von Menschen und Maschinen

Welche Ansprache erwarten Einkäufer von ihren Zulieferern und Dienstleistern im digitalen Zeitalter? Bisher haben digitale Kanäle im B2B-Bereich keine große Rolle gespielt. Zu erklärungsbedürftig waren die Produkte, zu komplex die Verträge, zu wichtig die persönlichen Beziehungen zwischen Käufer und Verkäufer – so dachte man. Eine McKinsey-Umfrage bringt diese Annahmen ins Wanken.

01.11.2018, Jochen Böringer und Tjark Freundt

Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey. Er berät Klienten in den Bereichen Chemie und Energie in Marketing- und Vertriebsfragen

Senior Partner im Hamburger Büro von McKinsey. Er leitet die deutsche Marketing & Sales-Practice von McKinsey

Wer Kunden gewinnen und erfolgreich führen will, braucht beides: Menschen und Maschinen. Die Unternehmensberatung McKinsey hat 2016 mehr als 1.000 Einkäufer aus verschiedenen Industrien zu ihren Vorlieben im Umgang mit Zulieferern befragt. Erste Erkenntnis: Die Branche spielt keine große Rolle bei der Kanalpräferenz. Ausschlaggebend ist vielmehr die jeweilige Vorgeschichte. Handelt es sich um den ersten Kauf eines für den Einkäufer neuen Produkts, wünschen sich 76 Prozent einen direkten Kontakt zum Verkäufer – sei es telefonisch oder im persönlichen Gespräch. Geht es um ein bekanntes Produkt mit veränderten Spezifikationen, legt nur noch gut die Hälfte Wert darauf. Geht es um eine Nachbestellung eines bekannten Produkts, dann will sogar nur knapp jeder Sechste mit einem Vertriebsmitarbeiter sprechen. 46 Prozent aller Befragten können sich grundsätzlich vorstellen, den Einkauf online abzuwickeln etwa über den Webshop eines Zulieferers. Derzeit macht davon allerdings nur jeder Zehnte Gebrauch. Das liegt zum Teil allerdings auch daran, weil viele Verkäufer ihre Produkte und Dienstleistungen noch gar nicht online anbieten. Gerade kleinere und mittelständische Anbieter scheuen vor der Einrichtung eines eigenen Webshops zurück. Digitale Plattformen wie Amazon Business, Alibaba und Mercateo dürften allerdings dafür sorgen, dass der Anteil digitaler Kanäle am B2B-Einkauf in Zukunft trotzdem weiter steigt.

Schnelligkeit ist entscheidend

Ein weiterer Schwerpunkt der Umfrage waren die Sorgen und Nöte der Einkäufer im Umgang mit Zulieferern. Häufigste Beschwerde, noch vor allfälligen Klagen über zu hohe Preise ist die zu langsame Bearbeitung von Anfragen. Jeder dritte Käufer industrieller Investitionsgüter zum Beispiel kauft deshalb lieber bei einem Zwischenhändler als beim Hersteller. Auch im weiteren Verlauf der Kundenbeziehung spielt Schnelligkeit eine wichtige Rolle.

Die häufigste Beschwerde von B2B-Bestandskunden: Lieferanten brauchen zu lange, um Fragen zu beantworten oder Nachbestellungen zu bearbeiten.

Wie Kundenführung verbessert werden kann

Die wichtigste Erkenntnis der Umfrage: Für effektive Kundenführung braucht es sowohl persönliche Kontakte als auch digitale Kanäle. Für beide Bereiche ergeben sich aus der Umfrage je drei konkrete Ansatzpunkte für gezielte Investitionen:

Online

  • Präsenz auf B2B-Portalen ist auch für kleine Anbieter unerlässlich, denn hier werden Einkäufer bei ihrer ersten Suche auf Lieferanten aufmerksam, und hier finden sie schnellen Zugang zu Informationen über deren Produkte und Dienstleistungen.
  • Weiterhin empfiehlt es sich, auf der eigenen Website Antworten auf häufig gestellte Fragen vorzuhalten und eine Online-Beratungsfunktion („click to chat“) einzurichten, um interessierten Einkäufern eine niedrigschwellige Entscheidungshilfe anbieten zu können.
  • Automatische Email-Erinnerungen helfen dabei, das Bestandskundengeschäft anzukurbeln. Jeder zweite Einkäufer erwartet laut Umfrage, vom Lieferanten an fällige Nachbestellungen erinnert zu werden. Bisher allerdings nutzen zu wenige Verkäufer diese Möglichkeit.

Offline

Durch die digitale Abwicklung von Standardbestellungen werden im Vertrieb von Herstellern und Händlern Ressourcen frei für die Beratung von Einkäufern bei neuen, komplexen und großen Anschaffungen. Um die Chancen, die solche Kontakte bieten, optimal nutzen zu können, empfiehlt sich die Investition in innovative Lösungen und Werkzeuge zur Unterstützung des Vertriebs:

  • Virtuelle Produktdemonstrationen − sei es im Browser, sei es auf dem Tablet − machen Produkte für Einkäufer sinnlich erfahrbar. Manche Unternehmen nutzen mittlerweile Datenbrillen und Sensorhandschuhe für eine möglichst realistische Demonstration auch komplexer Produkte.
  • Moderne Vertriebssoftware unterstützt Vertriebsmitarbeiter in Verhandlungen mit Advanced Analytics bei dynamischen Angebotskonfigurationen, Rabattstruktur und daraus resultierenden Preisvorschlägen auf Basis aller bisherigen Abschlüsse, der Historie des jeweiligen Kunden plus ähnlicher Deals im selben Kundensegment und des Preisniveaus der Konkurrenz.
  • Modulare CRM-Lösungen vereinfachen die Pflege der Kundenbeziehung über einen längeren Zeitraum, von gezielter, segmentspezifischer Akquise über den ersten Abschluss bis hin zur Vorhersage künftiger Kundenbedürfnisse mit Hilfe lernender Algorithmen.

Die Auswahl geeigneter Hardware und Software sollte dabei natürlich die Situation des jeweiligen Unternehmens widerspiegeln. Hinsichtlich der konkreten Anforderungen gibt es sowohl zwischen verschiedenen Branchen als auch zwischen konkurrierenden Unternehmen derselben Branche große Unterschiede. Viel hängt zum Beispiel davon ab, ob es um physische Produkte oder Dienstleistungen geht, wie standardisiert und damit vergleichbar diese sind, wie stark der Vertrieb zentralisiert ist und wie viele Freiheiten die Mitarbeiter bei der Angebotsgestaltung haben.

Für effektive Kundenführung braucht es sowohl persönliche Kontakte als auch digitale Kanäle

Die Marke als gemeinsamer Nenner

Mensch und Maschine – ist das die ganze Geschichte? Mitnichten. Für kanalübergreifend konsistente Kundenführung braucht es einen gemeinsamen Nenner. Dieser gemeinsame Nenner ist die Marke, die auch im B2B-Bereich als Entscheidungsfaktor an Bedeutung gewinnt. Für Einkäufer ist eine starke Marke branchenübergreifend Garant einer guten Wahl.

In der Chemieindustrie ist die Markenfunktion „Risikoreduktion“ sogar überdurchschnittlich wichtig.

Aber auch für Verkäufer erfüllt die Marke eine wichtige Funktion. Ihnen hilft sie als feste Größe dabei, stets im Sinne des eigenen Unternehmens zu handeln – online, offline und in Kanälen, die heute noch wie Zukunftsmusik klingen. Wie lange es in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Machine Learning wohl noch dauert, bis ein Gespräch mit den Nachfahren von Siri und Alexa als „persönliche Beratung“ durchgeht?

Der Artikel erschien ursprünglich 2018 in der perspectives #5, Themen-Special: Führung

Bildquelle Stage: artisteer/iStock/Getty Images

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