Wie grüne Chemie Realität wird
Deutsche Industrieunternehmen sollen den Einsatz umweltschädlicher Rohstoffe reduzieren, so will es das Klimapaket der Bundesregierung. Den Wandel hin zu einer grünen Chemie treiben junge Unternehmen wie DexLeChem voran – und hoffen darauf, dass Innovationen aus der Forschung schneller in den Markt kommen.
27.11.2019, Guido Walter
Die Bundesregierung holte jüngst zum Rundumschlag in Sachen Klima aus. Fossile Brenn- und Kraftstoffe sollen teurer und durch klimaschonende Grund- und Kraftstoffe ersetzt werden. Das betrifft als einer der Hauptverbraucher fossiler Rohstoffe die chemischen Industrie. Etwa 20 Prozent der fossilen Rohstoffe landen in chemischen Produkten, der Rest findet als Lösungsmittel Anwendung und wird verbrannt. Die Industrie hat dieses Umweltproblem erkannt und treibt den Wandel weg von fossilen Rohstoffen hin zur grünen Chemie voran. Ein Paradigma, das Ideengeist und technische Innovationen erfordert. DexLeChem aus Berlin hat sich mit ihrer Gründerin Sonja Jost diesem Wandel verschrieben.
Die 39-jährige Tochter eines italienischen Arbeiters und einer deutschen Ingenieurin ist von der wachsenden Bedeutung der Jungunternehmen für die chemische Industrie überzeugt. Ihr Unternehmen setzt auf ein Verfahren, das erdölbasierte Lösungsmittel bei der Arzneimittelherstellung durch Wasser ersetzt, Edelmetall-Katalysatoren schont und wieder nutzbar macht. Die Verfahren entsprechen den Grundprinzipien der erst 1998 von den Professoren Paul Anastas und John C. Warner in den USA entwickelten wissenschaftliche Disziplin der grünen Chemie, die Produktionsprozesse und Einsatz von Ressourcen effizienter gestalten sowie den Verbrauch fossiler Rohstoffe senken will. „Wenn wir die grüne Chemie systematisch anwenden, können wir schon heute einen signifikanten Anteil zum Klimaschutz leisten“, sagt Sonja Jost. „Nach oben hin sind keine Grenzen gesetzt.“
Keiner wollte der erste Kunde sein
DexLeChem musste seit der Gründung einige Hürden überwinden. „Unsere Technologie war von Anfang an marktreif – nur am Anfang wollte kein Kunde der erste sein“, sagt Jost. Viele Neueinsteiger scheiterten an der Innovationsbarriere in der deutschen Chemieindustrie. „Wir haben es nur geschafft, weil uns Ende 2014 Lonza eine Chance gab und uns mit einer Verfahrensentwicklung beauftragte.“ Das Schweizer Unternehmen diente als Türöffner. Kunden wie AstraZeneca, Sanofi-Aventis oder Boehringer Ingelheim folgten. Bei seinen Kooperationen zielt DexLeChem auf Verfahrensverbesserungen. „Wir planen aber nach wie vor, in die eigene Produktion einzusteigen und evaluieren dazu derzeit strategische Partnerschaften.“
DexLeChem-CEO Sonja Jost ist eine echte Pionierin. In Braunschweig geboren und in einem Dorf in Niedersachsen aufgewachsen, interessiert sie sich früh für Chemie. Das Interesse an dieser Naturwissenschaft verlor sie nie. Ab 1999 studierte Jost Wirtschaftsingenieurwesen und Technische Chemie an der TU Berlin. 2011 stand sie als Projektleiterin dem Drittmittelprojekts „Katalysator Re-using“ an der TU vor, welches sich als Keimzelle von DexLeChem entpuppte, das Jost im Februar 2013 mit vier Mitgesellschaftern gründete. Eine Konzernkarriere kam für die Berlinerin nicht in Frage, denn in den Unternehmen war ihr Herzensthema grüne Chemie nicht ausreichend verankert. „Wir müssen diese Industrie langfristig hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft transformieren“, sagt Jost. Mit Blick auf die Umwelt und das Klima sei die Chemiewende unabdingbar.
Immer noch zu wenig Wachstumskapital für Chemie-Startups
Um neue Geschäftsfelder zu entwickeln, setzte das junge Unternehmen von Anfang an auf digitale Tools. Sei es zur Simulation auf kleinster Quantenebene, um Aussagen über Katalysezyklen zu erhalten, oder auf makromolekularer Ebene, um Reaktoren chemisch und physikalisch beschreiben zu können. Mit Data Mining („Black-Box-Modeling“) spürt DexLeChem die Quelle von Verunreinigungen auf. „Kunden fragen diese Bereiche mittlerweile auch einzeln nach“, sagt Jost. „Sie schätzen uns nicht nur als „Number Crunchers“, sondern wissen, dass wir ein tiefes naturwissenschaftliches Prozessverständnis haben.“
DexLeChem bearbeitet nur Projekte, mit denen das Unternehmen wirkliche Mehrwerte generiert. „Ansonsten geben wir auch gerne Projekte ab“, sagt Jost, die durch ihre mehrjährige Vorstandstätigkeit im Bundesverband Deutsche Startups über ein starkes Netzwerk verfügt und einzelne Startups und Dienstleister gut einschätzen kann. Die Vernetzung der jungen Unternehmen untereinander hilft, kann aber das Grundproblem nicht lösen, dass in Deutschland zu wenig Wachstumskapital für Chemie-Startups zur Verfügung steht.
Dem VCI zufolge sind 2018 lediglich 2,4 Millionen Euro an VC Kapital in die Chemie-Branche geflossen. „Auch das zeigt strukturelle Hürden, die es so in anderen Branchen in Deutschland nicht gibt“, klagt Jost. Staatliche Fonds wie Coparion und Co. seien nicht für Chemie-Startups geeignet, weil sie nur mit privaten VC finanzieren und man mit rein digitalen Startups einfach schneller den Exit erreiche. „Viele deutsche Chemie-Startups suchen daher Hilfe in China, weil dort die Rahmenbedingungen fürs Wachstum stimmen“, sagt Jost. „Damit fließt über Jahrzehnte lang aufgebautes Wissen an deutschen Forschungsinstituten mit einer einzigen Unterschrift ab.“
„Die Zukunft der gesamten deutschen Chemiebranche steht auf dem Spiel, wenn hier nicht endlich angefangen wird, konsequent zu handeln.“
Sonja Jost
In der Medizintechnik könne jeder die elementare Wichtigkeit der Startups erkennen, wenn es darum geht, Innovationen aus der Forschung in den Markt zu bekommen. Gleiches wünscht sich Sonja Jost für die Chemie. „Die Zukunft der gesamten deutschen Chemiebranche steht auf dem Spiel, wenn hier nicht endlich angefangen wird, konsequent zu handeln .“ DexLeChem ist sich seiner Vorreiterrolle bewusst. 2018 war das Unternehmen das erste Mal profitabel, Ende des Jahres zog es mit eigenen Laborräumen und Offices in einen Berliner Techpark. „Der Aufbau hat uns viel Zeit gekostet, aber wir sind sehr glücklich darüber, nun komplett unabhängig agieren zu können“, sagt Jost. Seit vergangenem Jahr ist zudem eine Privatinvestorin mit an Bord, die an die Mission einer grünen Chemieindustrie glaubt. Sonja Jost: „Die Frage ist nicht, ob sich die Chemieindustrie fundamental durch den Megatrend Nachhaltigkeit verändert, sondern wer davon profitieren wird. Wir wissen, dass es noch ein langer Weg ist aber wir werden nicht aufhören, ihn zu gehen.“
Der Artikel erschien ursprünglich 2019 in der perspectives #6, Themen-Special: Aubruch
Bildquelle Stage: Westend61/Romania/Getty Images