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Rohstoffknappheit, Circular Economy, Klimaschutz – und dazwischen die deutschen Konsumenten, die Wirtschaft und die Politik. Professor Mario Schmidt von der Hochschule Pforzheim, Mitglied im Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung Baden-Württemberg, rückt im Interview einige Missverständnisse gerade und plädiert für klare politische Ansagen und technische Innovationen, um die anstehenden globalen Probleme zu lösen.
22.05.2020, Interview mit Prof. Dr. Mario Schmidt / Hochschule Pforzheim; geführt von Michael Hasenpusch
Direktor des Instituts für Industrial Ecology (INEC) an der Hochschule Pforzheim
Grundsätzlich trägt ein schonender Umgang mit Ressourcen auch zum Schutz des Klimas bei, gerade im industriellen Bereich ist diese Wirkung erheblich. Das haben viele Projekte bereits gezeigt. Es sind aber zwei verschiedene Zielbereiche, die miteinander in einer Austauschbeziehung stehen, manchmal auch im Widerspruch zueinander. Wenn wir weltweit das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen, dann geht das nur, wenn wir massiv die globale Infrastruktur ausbauen, die zur Bereitstellung elektrischer Energie nötig ist. Dies wäre die Basis für die Nutzung von Sonnenenergie und anderer alternativer Energieformen. Für diesen Ausbau werden jedoch in großem Umfang Rohstoffe benötigt, beispielsweise Kupfer. Die Kunst liegt nun darin, mit diesen Austauschbeziehungen so umzugehen, dass ein Fortschritt auf der einen Seite nicht zu einem Rückschritt auf der anderen führt.
Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass in Kreisläufen gedacht wird und daran gearbeitet wird, von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft zu gelangen. Das Konzept ist längst überfällig, und man wird in vielen Bereichen Potentiale vorfinden, um Materialien und Rohstoffe einzusparen und somit einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Etwas überzogen ist es allerdings, daraus das Narrativ des kategorischen „Closing the Loop“ abzuleiten, das gerne von der Politik aufgegriffen wird und im öffentlichen Diskurs eine große Rolle spielt. Jeder, der naturwissenschaftlich vorgebildet ist, weiß, dass das in dieser Absolutheit so nicht möglich ist.
Wie in vielen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft kann die Digitalisierung einen großen Beitrag leisten. Sie ist einer der Megatrends dieser Zeit, an dem niemand vorbeikommt. Allerdings sollte sie auch nicht überbewertet werden. Bei der Circular Economy existiert ein hoher Kommunikationsbedarf entlang der Wertschöpfungskette oder des Lebenswegs von Produkten. Beispielsweise muss beim Recycling bekannt sein, welche Inhaltsstoffe in dem Produkt enthalten sind und wie es demontiert werden muss, um die Stoffe wieder extrahieren zu können. Das können Baupläne sein, die zeigen, wo in einem Smartphone der Kondensator steckt, der ein wertvolles Metall enthält. Solche Informationen hat nur der Produzent oder sogar nur der Vorlieferant, und sie müssen über die gesamte Wertschöpfungskette transportiert werden. Das ist sehr aufwendig, und dabei kann die Digitalisierung beispielsweise durch eine der Blockchain ähnlichen Technologie, Distributed Ledger, einen großen Beitrag leisten. Auf der anderen Seite gibt es dabei auch Rebound-Effekte: Mit Digitalisierung ist durch den Energieverbrauch und die nötige Hardware immer auch eine Belastung der Umwelt verbunden.
„Ich schaue verblüfft auf die drastischen Reaktionen der Politiker – und zwar überall – bei der Corona-Krise. Hier wird sogar der Zusammenbruch der Weltwirtschaft in Kauf genommen, was beim Klimaschutz nicht einmal notwendig wäre. Der bevorstehende Klimawandel wird für unsere Zivilisation langfristig weitaus schlimmer sein und mehr Opfer fordern.“
Prof. Dr. Mario Schmidt
Die Politik kann den Umweltschutz nicht selbst betreiben, aber sie muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Das Individuum muss an seinem Lebensstil, an seinem Konsum ansetzen. Vor allem ist Klimaschutz aber Aufgabe der Unternehmen, die Energie und Rohstoffe herstellen, verarbeiten oder verbrauchen. In der Gesellschaft müssen wir begreifen, dass die Wirtschaft nicht nur der Verursacher der Probleme ist, sondern in Zukunft auch der Partner sein muss, der zu ihrer Lösung beiträgt.
Die Politik handelt viel zu spät und viel zu zaghaft. Wir sind nicht nur 20 Jahre zu spät, es werden immer noch nicht die Signale gegeben, die die Wirtschaft braucht, um umzusteuern. Ich schaue verblüfft auf die drastischen Reaktionen der Politiker – und zwar überall – bei der Corona-Krise. Hier wird sogar der Zusammenbruch der Weltwirtschaft in Kauf genommen, was beim Klimaschutz nicht einmal notwendig wäre. Der bevorstehende Klimawandel wird für unsere Zivilisation langfristig weitaus schlimmer sein und mehr Opfer fordern. Aber die Politik denkt, sie könnte das aussitzen und uns mit Phrasen und unverbindlichen Beschlüssen abspeisen. Das wird sich als großer Irrtum erweisen und ist ein Verbrechen an den nachfolgenden Generationen.
Erstens ist Deutschland ein hoch technisiertes Land mit gewaltigen Ressourcen. Damit meine ich Know-how, Infrastruktur, aber auch soziale Ressourcen wie den gesellschaftlichen Frieden. Das sind alles wichtige Voraussetzungen, um global bedeutsame Lösungen aufzuzeigen, die aus technischen wie auch sozialen Innovationen bestehen. Zweitens hat Deutschland zwar nur ein kleines Territorium und trägt nur zu einem geringen Anteil zum globalen CO2-Ausstoß bei – immerhin zwei Prozent. Betrachten wir aber seine Wirtschaftskraft, ist die Bedeutung für die Nachhaltigkeit wesentlich größer. Als zweitgrößter Exporteur von Gütern weltweit hat Deutschland einen großen Einfluss auf die Wertschöpfungsketten, zum Beispiel auf die internationalen Lieferketten, und natürlich auf die exportierten Produkte selbst. Diesen Einfluss könnte Deutschland geltend machen, wenn es darum geht, den weltweiten Klimaschutz voranzutreiben.
Der Artikel erschien ursprünglich 2020 in der perspectives #7, Themen-Special: Schöne neue Welt
Bildquelle Stage: DennerleinBrands GmbH