Das kann man doch noch gebrauchen: Wenn aus Abfall ein Wertstoff wird

Kreislaufwirtschaft ist ein Begriff, den man derzeit häufig hört: Durch höhere Recyclingquoten sollen Ressourcen geschont und weniger Energie verbraucht werden. So lässt sich also auch etwas für die Klimawende tun. Doch es besteht noch viel Handlungsbedarf.

Von Bettina Blaß

416 Millionen Tonnen Abfall haben die Deutschen im Jahr 2019 nach jüngsten Aussagen von Destatis produziert. Von einer „Zero Waste“-Gesellschaft, in der kein Müll anfällt, ist die Bundesrepublik also noch sehr weit entfernt. Immerhin: 70 Prozent des Abfalls wurden stofflich verwertet, also recycelt. „Beim Recycling von Kunststoffflaschen wird der Kunststoff eingeschmolzen und daraus eine neue Flasche hergestellt“, sagt Rolf Buschmann, Referent für technischen Umweltschutz beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Bei der stofflichen Verwertung entfällt also die Vorstufe der Kunststoffherstellung. Besser als die stoffliche Verwertung ist aber die Wiederverwendung, beispielsweise bei Mehrwegflaschen: Sie werden gesäubert und wieder genutzt. Hier wird auch die Energie für die Herstellung neuer Flaschen eingespart.“

Abfallmenge insgesamt senken

Eine Verwertungsquote von 70 Prozent klingt also besser, als es ist. Hinzu kommt, dass Deutschland bei der Menge des Abfalls pro Kopf in der Europäischen Union schon seit Jahren mit an der Spitze und somit deutlich über dem Durchschnitt liegt.

Besser wäre es also, zunächst die Abfallmenge insgesamt zu senken und den Rest ordentlich weiter zu trennen, um die Kreislaufwirtschaft zu verbessern. Während jeder Einzelne bei der Trennung mithelfen kann, indem er seinen Müll nach Glas, Papier, Verpackung, Bio- und Restmüll sortiert, hat man als Kunde jedoch selten Einfluss auf die Art und Menge der Verpackung.

„Hier muss in der Industrie ein Umdenken stattfinden“, fordert Buschmann. Eine weitere Möglichkeit: „Länder wie Deutschland verarbeiten ihren Recyclingmüll selbst und hochwertig, statt ihn in Länder zu exportieren, die damit unter Umständen überfordert sind“, ergänzt Buschmann. „Würde man dann noch Primärrohstoffe verteuern und den Einsatz von Sekundärrohstoffen, also aus Recycling, fördern, wäre man der Kreislaufwirtschaft einen Schritt näher.“

Doch selbst dann wäre eine 100-prozentige Recyclingquote nicht möglich: „Papier beispielsweise kann nicht beliebig oft wiederverwertet werden“, so Buschmann. „Auch bei Glas und einigen Metallen gibt es Einschränkungen, lediglich Edelmetalle werden zu nahezu 100 Prozent recycelt.“ Das gilt auch für Stahl, der sich beliebig oft recyceln lässt. Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen (BDSV) sind rund 70 Prozent des jemals produzierten Stahls noch in Gebrauch. 2018 lag der Einsatz von Stahlschrott bei der Stahlerzeugung bei 19 Tonnen in Deutschland, wie eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik zur Zukunft des Stahlschrotts für die BDSV 2019 herausgefunden hat. Das entspricht 45 Prozent. Zum Vergleich: In Italien, der Türkei oder Spanien ist dieser Wert deutlich höher, in China wesentlich niedriger.

Recycling und Kreislaufwirtschaft in der Chemie

Eine besondere Herausforderung sind Recycling und Kreislaufwirtschaft in der Chemiebranche. Thomas Bayer ist promovierter Chemiker und Leiter Neue Technologien im Bereich Ver- und Entsorgung Technik bei Infraserv Höchst, dem Betreiber des Industrieparks Höchst, der unter anderem die Entsorgung von Abfällen und Abwässern sowie die Versorgung mit Energien anbietet. Dort ist übrigens auch die Provadis Hochschule angesiedelt, deren Vizepräsident Forschung Thomas Bayer ist.

„Frankfurt will bis 2035 klimaneutral werden“, erklärt Bayer das ambitionierte Ziel des neuen politischen Bündnisses der Stadt. „Da müssen wir unseren Teil dazu leisten.“ Neu ist das Thema für ihn allerdings nicht.

Wir nutzen die im Industriepark entstehenden Klärschlämme schon seit vielen Jahren, um Energie zu gewinnen.

Prof. Thomas Bayer, Leiter Neue Technologien im Bereich Ver- und Entsorgung Technik bei Infraserv Höchst

„In unseren Anlagen produzieren wir Strom, Dampf und Bioerdgas.“ „Waste to Energy“ heißt dieses Vorgehen, mit dem Infraserv Höchst 500.000 Tonnen CO2-Emmissionen im Jahr spart. Doch so einfach ist es nicht überall im Chemiepark. „Ich kann mir vorstellen, dass nur noch E-Autos fahren“, sagt Bayer. „Auch dass der Flugverkehr auf kürzeren Strecken kerosinfrei sein wird – selbst wenn das schon schwieriger zu erreichen ist. Aber organische Chemikalien ohne Kohlenstoff – das ist nicht möglich.“ Darum wird in der Chemie, aber auch beispielsweise bei der Herstellung von Kalk und Zement, prozessbedingt immer CO2 ausgestoßen werden.

Podcast mit Prof. Thomas Bayer

Grünschnitt als Basis für neue Produkte

„Man kann allerdings versuchen, aus diesem CO2 chemische Produkte herzustellen“, so Bayer. Der Vorteil liegt auf der Hand: CO2, das weiterverwendet wird, kann nicht mehr als schädliches Treibhausgas in die Atmosphäre gelangen. Im von der Provadis Hochschule koordinierten Innovationsraum „ Bioökonomie im Ballungsraum “ – kurz BioBall – wird darum genau nach diesen Möglichkeiten geforscht. BioBall wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit bis zu 20 Millionen Euro gefördert. Ziel des Innovationsraums: Das industriegeprägte Rhein-Main-Gebiet soll Vorbild für nachhaltige bioökonomische Wertschöpfung werden. Da Prognosen zufolge bis zum Jahr 2050 etwa zwei Drittel der Menschheit in Ballungsräumen leben werden, eignet sich gerade die Metropolregion Rhein-Main als dicht besiedelter Standort für solche Forschungsmaßnahmen.

Eines der bisher im Innovationsraum entstandenen großen Projekte heißt GreenToGreen . Die Idee: Grünabfälle, die beispielsweise in den städtischen Parks und auf den Friedhöfen in Frankfurt anfallen, zu nutzen. „Meistens bleibt der Grünschnitt einfach liegen, weil das Einsammeln zu teuer ist. Die Idee ist, ihn für neue stoffliche Produkte wie beispielsweise Elektroden für Brennstoffzellen zu nutzen.“ Welches Produkt auch immer am Ende dabei herauskommen wird: Es könnte einen Preis erzielen – was Grünabfall bisher nicht tut. Die Preise könnten durch den Zusatz „Bio“ eventuell sogar höher sein als marktüblich. „Dadurch würde also Grünabfall einen Wert bekommen, und der Aufwand, ihn einzusammeln, würde sich lohnen“, sagt Bayer. „Allerdings haben wir bis dahin auch noch einen langen Weg vor uns.“

Kontakt