Mit Kunststoffabfällen die Kreislaufwirtschaft befördern

Das Potenzial ist riesig: Statt Kunststoffabfälle wie bisher zu verbrennen, könnten sie künftig in die Kreislaufwirtschaft eingespeist werden. Seit mehr als einem Jahr betreibt das Ludwigsburger Unternehmen ARCUS Greencycling Technologies eine Pyrolyse-Anlage im Industriepark Höchst, die genau das kann.

Von Dirk Mewis

1.300 Quadratmeter ist die erste deutsche Pyrolyse-Anlage groß. Die Produktionsstätte steht im Industriepark Höchst in Frankfurt und läuft seit etwas mehr als einem Jahr. Erstmals wird hier aus bislang nicht mechanisch recycelbaren Kunststoffabfällen ein qualitativ hochwertiges Produkt im industriellen Maßstab erzeugt. Das entstandene Pyrolyseöl kann dann wiederum in den Produktionskreislauf eingespeist werden.

Pyrolyse-Anlage im Industriepark Höchst

„Das Problem mit dem Plastikmüll rührt nicht vom Werkstoff Plastik, sondern daher, wie wir mit ihm umgehen“ , erklärt Markus Klatte, Chef des Unternehmens ARCUS Greencycling Technologies, beim Rundgang durch die Anlage. Der Werkstoff Plastik habe in der Vergangenheit viele Innovationen überhaupt erst ermöglicht. Dass er jetzt die Weltmeere und die Umwelt verschmutze, sei das Problem der Linearwirtschaft, die Produkte nach der Verwendung vernichte, statt sie in eine Kreislaufwirtschaft zu überführen. „Unser Ziel ist es, hier künftig weniger Kunststoffmüll zu verbrennen und stattdessen wiederzuverwenden. Dadurch produzieren wir weniger klimaschädliches CO2 und die Petrochemie muss weniger fossiles Öl fördern. Das tut der Umwelt gut“, beschreibt der Betriebswirtschaftler das Geschäftsmodell des Unternehmens.

Rund zwei Kilogramm CO2 verursacht die Produktion eines Kilogramms Kunststoff normalerweise. Dabei ist Kohlenstoffdioxid einer der Haupttreiber des Klimawandels. Gleichzeitig gibt es aber ohne Kunststoffe weder Windräder noch Solaranlagen – und auch Batterien für die Elektromobilität wären undenkbar. Prognosen gehen davon aus, dass in Zukunft sogar eher noch mehr als weniger Kunststoff produziert wird.

Mehr als 64 Prozent des Kunststoffabfalls werden heute verbrannt

Rund sechs Millionen Tonnen Verpackungsmüll landen in Deutschland pro Jahr in der Wertstofftonne oder im Gelben Sack. 60 Prozent dieser Leichtverpackungen werden bereits werkstofflich recycelt und folgen damit dem Grundgedanken der Kreislaufwirtschaft. Geeignet sind für einen solchen Prozess aber oftmals nur sortenrein sortierbare Kunststoffe aus dem Verpackungsbereich oder Rückstände aus der Herstellung von Kunststoffprodukten. „Die mechanische Aufarbeitung, also Schreddern und Einschmelzen, funktioniert zuverlässig nur bei sortenrein getrennten und sauberen Abfällen, wie PET-Flaschen, die dank eines Pfandsystems in großem Stil gesammelt und zu ‚Polyethylenterephthalat-Flakes‘ gemacht werden“, erläutert Klatte. Aus diesem Granulat würden dann im besten Falle wieder PET-Flaschen, Fleecepullis oder Folien gemacht. „Solche mehr oder weniger geschlossenen Kreisläufe sind bisher allerdings die Ausnahme.“

Mehr als die Hälfte der Kunststoffabfälle in Deutschland hingegen werden laut Statistik des Bundesumweltamts „thermisch verwertet“. Das heißt: Sie sind Teil der Linearwirtschaft und werden in Müllverbrennungsanlagen oder Kraftwerken verbrannt.

Aufkommen und Verbleib von Kunststoffabfällen in Deutschland 2021 in Millionen Tonnen (und Prozent)

AnfallortGesamt-Kunststoffabfälle*Post-Consumer-Abfälle**
Stoffliche Verwertung*** 1,98 (35 %) 1,81 (33,2 %)
- werkstofflich 1,96 (34,6 %) 1,78 (32,7 %)
- rohstofflich / chemisch <0,03 (0,04 %) <0,03 (0,5 %)
Energetische Verwertung 3,66 (64,4 %) 3,60 (66,2 %)
- in Müllverbrennungsanlagen 2,13 (37,4 %) 2,09 (38,4 %)
- als Ersatzbrennstoff / Sonstiges 1,53 (27 %) 1,51 (27,8 %)
Beseitigung / Deponie 0,03 (0,6 %) 0,03 (0,6 %)
Abfallaufkommen insgesamt 5,67 (100 %) 5,44 (100 %)

Quelle: Umweltbundesamt 2023, eigene Zusammenstellung mit Daten der CONVERSIO Market & Strategy GmbH - Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2021

*inklusive Kunststoffabfälle aus Produktion und Verarbeitung
**Kunststoffabfälle nach Gebrauch / Endverbraucherabfälle ohne Abfälle aus der Produktion und Verarbeitung
***nach neuem Berechnungspunkt gemäß EU-Durchführungsbeschluss 2019/665 unter Berücksichtigung von Verlustraten bei der Aufbereitung

Das Potenzial hin zu einer Kreislaufwirtschaft ist demnach riesig im umweltbewussten Europa, das zunehmend mehr Elektroprodukte, Kleidungsstücke, Getränkeflaschen und Verpackungen aus sogenannten Rezyklaten , also wiederverwerteten Abfällen, auf den Markt bringt.

„Um den Großteil der sechs Millionen Tonnen Kunststoffabfälle, die jedes Jahr in Deutschland anfallen und größtenteils verbrannt werden, wieder in den Kohlenstoffkreislauf einzuspeisen, ist chemisches Recycling notwendig“, resümiert Klatte.

Mischkunststoffe werden in Pyrolyseöl umgewandelt

In der ARCUS-Anlage werden Mischkunststoffe, wie sie beispielsweise bei Käseverpackungen verwendet werden, in einem chemisch-thermischen Prozess in Pyrolyseöl umgewandelt. Der Kunststoff löst sich dabei in Dampf auf (er wird pyrolysiert), dann heruntergekühlt und kondensiert. Das Pyrolyseöl geht in hoher Qualität an Unternehmen der Petrochemie, die dieses wiederum zur Herstellung von Kunststoffen verwenden.

Flaschen mit Pyrolyseöl von ARCUS Greencycling Technologies

Dies hat aus Sicht von Klatte folgenden Vorteil: Chemische Verfahren, die den Kreislauf schließen, seien zwar etwas aufwendiger und benötigten mehr Energie als mechanische Verfahren, seien aber ökologisch und ökonomisch sinnvoller als die Verbrennung oder sogar die Deponierung von Kunststoffabfällen. Sie seien demnach eine optimale Ergänzung zum bestehenden Recyclingsystem.

Verarbeitet werden in der Pyrolyse-Anlage im Industriepark Höchst jährlich rund 4.000 Tonnen gemischte Kunststoffabfälle.

Ein geschlossener Kreislauf, in dem alle Kunststoffabfälle vollständig verwertet werden können, ist aktuell der noch scheinbar unerreichbare Idealzustand. Aber mit unserer Recyclingtechnologie erhöhen wir die Kunststoff-Recyclingquote perspektivisch drastisch

Markus Klatte, Chef des Unternehmens ARCUS Greencycling Technologies

Ungefähr drei Tage dauert es, um einen ARCUS-Tank mit etwa 26.000 Liter Kondensat zu füllen. Benötigt wird dafür etwa die doppelte Menge an Kunststoffabfall. Bereits jetzt ist eine zweite Anlage geplant, die deutlich größer als die erste sein wird und mehr Kunststoffabfall verarbeiten kann

Von links nach rechts: Daniel Odenthal (COO ARCUS), Christoph Gahn (Vice President Chemical Recycling Business & Technologies BASF), Markus Klatte (CFO ARCUS), Stefan Strege (ChemCycling Projects Europe BASF)

Rahmenvereinbarung mit BASF

Das Kondensat, das ARCUS an die Petrochemie abgibt, müsse eine hohe Qualität haben, erklärt Klatte. „Es wird in externen Laboren geprüft und analysiert. Perspektivisch wollen wir das alles selbst machen.“ Um allen qualitativen Anforderungen gerecht zu werden, arbeitet die Firma derzeit mit dem Institut für Technische Chemie am Karlsruher Institut für Technologie zusammen.

Und auch einen großen Kunden hat ARCUS bereits an Land gezogen: Ende 2022 hat der Chemiekonzern BASF eine Rahmenvereinbarung mit ARCUS Greencycling Technologies geschlossen, um seine CO2-Emissionen zu verringern und den Übergang der Produkte des Konzerns in eine Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. ARCUS wird BASF mit Pyrolyseöl beliefern und in den nächsten Jahren kontinuierlich seine Kapazitäten erweitern. Die Vereinbarung sieht eine Steigerung der Abnahme auf bis zu 100.000 Tonnen Pyrolyseöl jährlich vor

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